Macht Fleisch den Mann zum Mann?

von Andrea Knura 14/01/2019
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Fleisch
Macht Fleisch den Mann zum Mann?

Fleisch galt ewig als Garant für Männlichkeit. Aber definiert sich das starke Geschlecht in Zeiten des „Vegan-Booms“ noch immer darüber?

Echte Kerle haben Muskeln. Und woher bekommen Sie den Bizeps? Durch harte Arbeit und ein Steak – nicht well done, sondern blutig, versteht sich. Das ist ein klassisches Stereotyp. Doch woher kommt die Annahme, dass Fleisch “stark macht”? Und hält sie sich in Zeiten des Vegan-Booms tatsächlich noch immer? Das wollten die Soziologin Tanja Paulitz und der Forscher Martin Winter wissen und haben diese Fragen in ihrem Projekt “Ernährungskulturen und Geschlecht” geklärt. Die Antwort auf Frage eins liegt für die Forscher auf der Hand.  Fleisch=Muskeln=männlich: Dabei handelt es sich um eine Sichtweise, die auf einer gesellschaftlich tradierten Asymmetrie zwischen den Geschlechtern basiert und sich irgendwann einmal verselbständigt hat, sagt Paulitz: “In den kapitalistischen Industriegesellschaften verlagerte sich Arbeit vom bäuerlichen Hof in die Fabrik. Dort vollzog sich für die Arbeiterschaft eine Aufteilung in vermeintlich leichte Frauenarbeit und schwere Männerarbeit. Natürlich haben auch Frauen schwer gearbeitet, wurden aber geringer entlohnt. Erwirtschaftet wurde ein Familienlohn. Dennoch galt die Devise: Der schwer arbeitende Ernährer der Familie muss selbst mit Fleisch am besten ernährt werden”.

Männlichkeit in Zeiten des Vegan-Booms

Heute stehen die Menschen dem Fleischkonsum aus mannigfaltigen Gründen kritischer gegenüber. Dieser neue Zugang hat “vegan” groß gemacht. Profi Paulitz sieht das so: “Früher ist Ernährung überwiegend ein Mangelthema gewesen – Wie kann ich satt werden? Gibt es genug? Was gibt es überhaupt?” Seit Ende des 20. Jahrhunderts beschäftige sich aber eine größere Breite der Gesellschaft mit der Frage des Maßhaltens und der richtigen Auswahl. Sich gesundheitsbewusst zu ernähren, bedeutet im digitalen Kapitalismus auch fit, leistungsfähig und erfolgreich zu sein. Proteine spielten dabei aber weiter eine zentrale Rolle.  Deshalb setzen auch die Produzenten veganer Produkte auf viele Proteine, denen eine vergleichbar stärkende Wirkung wie Fleisch zugeschrieben wird und kreieren sie optisch und geschmacklich ähnlich. “Die symbolisch an Fleischkonsum gekoppelte Vorstellung von Männlichkeit kann damit gewahrt werden”, sagt Martin Winter, Das ist kulturell bedeutsam.” Wir fassen zusammen: Konsumiert man vegane Produkte mit hohem Proteinanteil, die wie Fleisch aussehen, dann kann man auch ohne Fleisch in der Peer-Group bestehen.

Und was sagt die Fleischindustrie zum Tofuwürstchen?

Die Fleischindustrie tut nun etwas, das man ihr nicht zugetraut hätte. Sie hat die Zeichen der Zeit erkannt und schwimmt nicht etwa gegen den Strom, sondern mit der veganen Welle. Will heißen: Sie puscht gemeinsam mit NGOs aus dem Umfeld der Veganer das Geschäft mit Tofu-Würstchen und Seitan-Steak. “Tatsächlich hat sich hier in den letzten Jahren eine Art Allianz entwickelt. Die Fleischindustrie hat die Situation erkannt und signalisiert, “wir wollen Fleischersatz produzieren”, und die NGOs haben gesagt, „wir zeigen Euch, wie es geht“, so Winter. Paulitz fügt hinzu: “Ziel der NGOs ist nicht mehr, die Leute von einer vegetarisch-veganen Ernährung zu überzeugen. Der Tenor ist vielmehr: Man muss nicht gänzlich auf Fleisch verzichten, aber je weniger Fleisch man konsumiert, umso besser. Damit geht es ihnen, bevölkerungspolitisch gedacht, um eine Gesamtbilanz der Ernährung. Entgegen den ehemals primär ethischen Überlegungen zum Fleischverzicht ist gegenwärtig verstärkt eine Denkweise der Optimierung der Gesamtrechnung durch Fleischreduktion zu beobachten. Für die Allianz ist hier eine klassische Win-Win-Situation entstanden.”

Und wie beeinflusst der salonfähige Fleischersatz das Männlichkeitsbild?

“Zunächst einmal müssen wir konstatieren: Auch wenn die Muskelkraft für die Arbeit nicht mehr so entscheidend ist, sind Muskeln heute symbolisch für die Herstellung eines männlichen Körpers wichtig geblieben” sagt Paulitz. Die Ausbildung bestimmter Mengen und Formen an Muskeln an den ‚richtigen‘ Stellen sichere gesellschaftlich die Differenzierung gegenüber Weiblichkeit ab. Das sei insofern bedeutsam, weil genau diese Differenzierung ja nicht mehr wie früher institutionell und formal erfolgt, sondern die Partizipation von Frauen in der Gesellschaft unübersehbar ist. “Zur Abgrenzung spielen Essen und seine Inhaltsstoffe sowie Sport eine wesentliche Rolle. Künstliches Fleisch mit viel Protein folgt damit derselben Logik wie ‚echtes‘ Fleisch. So wird es auch vermarktet und in der Öffentlichkeit reiert. Wir nennen das eine Koproduktion von Fleisch, Wissen und Körpern.” Für Winter spielen Vorbilder, die vorleben, dass man auch mit veganer Ernährung muskelbepackt vor seinen Freun­dinnen und Freunden bestehen kann, bei der Durchsetzung dieses Narrativs eine wichtige Rolle. Attila Hildmann ist ein typisches Beispiel. In seinen veganen Kochbüchern erklärt er, warum man so essen sollte: Man macht es für sich selbst und für einen schönen Körper. Das ist eine neue Form der Legitimation der Ernährung für Männer.” Winter und Paulitz gehen davon aus, dass der Vegan-Boom sich weiter halten wird und uns noch vor viele Fragen stellt: “Welche neuen Lebensmittel entstehen hier und mit welchem Ziel? Wie werden Körper „gemacht“? Zementiert Veganismus am Ende an sich überholte Geschlechterverhältnisse? Das Thema bleibt spannend.

Das Forschungsprojekt

Das Projekt „Ernährungskulturen und Geschlecht. Eine empirische Untersuchung von Männlichkeitskonstruktionen am Beispiel Fleischkonsum und Veggie-Boom“ lief bis Ende 2018. Der Studie liegen qualitative Analysen veganer Kochbücher, Feldstudien im Rahmen von Fachmessen in den Bereichen Lebensmittel, Fleischereien, Tierzucht- und Agrartechnik so­wie Interviews mit NGOs und Ernährungswissenschaftlerinnen zugrunde.

www.tu-darmstadt.de