Von Urmüttern und Großbäckern. Brot. Der neue Film von Harald Friedl

von Alexandra Binder 18/02/2020
Warengruppen
Brot
Von Urmüttern und Großbäckern. Brot. Der neue Film von Harald Friedl

Wo liegt die Zukunft unseres Brotes? Und was essen wir da eigentlich? Diesen brennenden Fragen widmet sich “Brot”, der neue Film von Harald Friedl.

Eine Urmutter braucht’s für ein gutes Sauerteig-Brot. Und behandelt man sie gut, dann kann die ein paar Jahrzehnte alt werden. Bei den Öfferls hat man so eine. Die Mikroorganismen und Mehlenzyme der La Mamma machen das Brot bekömmlicher. Allerdings braucht es dazu Zeit. 72 Stunden, um genau zu sein. “Wie viel Geschmack man aus Wasser und Mehl rausholen kann”, das fasziniert Georg Öfferl noch immer. Dummerweise lässt einen Regisseur Friedl die Öfferl-Idylle nicht lange genießen, sondern schwenkt in die Großbäckerei Harry-Brot nach Deutschland. Dort hat man’s nicht so mit der Zeit und setzt auf Technologie und Produktivitätsfortschritte statt uralte Mütter. Man möchte den Film an dieser Stelle vorspielen. Aber bitte: “Letztendlich trifft der Enderbraucher die Entscheidung”, sagt Hans-Jochen Holthausen, von dessen Produktionsbändern gern 50.000 Weckerl pro Stunde laufen. Ob den Käufern klar ist, woraus die bestehen, wie lange die Knetzeit (12 Minuten) ist und wie der Umgang damit, darüber darf gemutmaßt werden.

Das sagt Christoph Vasseur vom Pariser Du Pain des Idees. Die Schlangen vor seiner Boulangerie könnten darauf hindeuten, dass er es richtig macht. Sein “perfektes Sauerteigbrot” ist eine Stunde im Holzofen. Doch diese Zeit nimmt sich keiner mehr heute in Frankreich, sagt er. 15 bis 20 Minuten bäckt man es aktuell.

Die einst zweitägige Gärzeit hat man auf zwei Stunden gekürzt. Was damit einhergeht? Schlechtere Verdaulichkeit und Blutzuckerschwankungen. Von der französischen Lässigkeit geht es ins Hightechlabor der Puratos Group, einem Backmittelhersteller, der die einzige Sauerteigbibliothek der Welt beheimatet. 108 Starterkulturen aus 20 Ländern lagern dort. Gut? Kann man so sehen, muss man aber nicht. Denn Puratos holt sich etwa im italienischen Altamura einen Sauerteig und analysiert ihn zu Tode, um dann ein Produkt zu kreieren, mit dem die Industrie in aller Welt genau diesen Geschmack herstellen kann.

Bäcker wie Georg Öfferl begreifen Brot dagegen als Endpunkt eines Prozesses, der schon mit der Wahl des
Saatkorns beginnt. Und da kommt Martin Allrahm ins Spiel. Der hegt und pflegt Emmer, Waldstaude, Kammut, Wicke, Sorten, die heute nicht mehr gängig sind. Öfferl sagt, am Ende geht es darum, wie man  “mit dem Rohstoff umgeht. Denn der macht nicht immer, was man von ihm erwartet, je nach Wetterlage etwa, in der das Getreide wächst: “Wenn man nichts zusetzt, muss man die Rezepte mitunter täglich verändern und anpassen.” Immer hat man nicht so gearbeitet. In den 80er-Jahren haben die Öfferls auf industriell produzierte Backmischungen umgestellt – der Konkurrenzdruck durch die Supermärkte ließ es damals notwendig erscheinen. Doch mit einer neuen Generation kam das Umdenken. Nicht um Herz, Handarbeit, Zeit und das Anpassen an den Rohstoff, sondern um Moleküle, Proteine, und Enzyme geht es bei Puratos. Weltweit produziert man in 50 Ländern und 53 Fabriken. Stiehlt man mit der Reproduktion ihrer Kreativität Handwerkern ihr Werk? Nein, man inspiriere nur, sagt Karl de Smedt.

Dass es kleine Bäcker gibt, die noch selbst backen, findet der Herr über die Enzyme im zwei Milliarden-Dollar-Unternehmen übrigens eh “nett”. Aber der Großteil der Bevölkerung kaufe sein Brot eben im Supermarkt. Und da sei Zeit eben Geld. Pragmatik. Etwas anderes hat  keinen Platz in seiner Welt. Wenn er das sagt, kommt das genauso seltsam rüber, wie wenn Großbäcker Holthausen von Harrys Brot davon spricht, dass Brot das natürlichste auf der Welt ist und “ein riesengroßes Vertrauen genießt”. Zusatzstoffe? Setze man nur ein, wenn es für die Qualitätsanforderungen des Verbrauchers nötig ist, sagt der Mann, für den nur “Wachstum, Wachstum, Wachstum” zählt. Franzose Vasseur hat ein anderes Wort für zugesetzte, technisch veränderte Enzyme, die quasi alles möglich machen – von der längeren Frische bis zum Glanz: “Chemische Krücken” nennt er sie. Damit entspannt sich der Teig rascher. “Wir betrachten die Zeit als Feind”, sagt er. Und: “Die Fermentation ist eine Vorverdauung von Glutenmolekülen. Lässt man den Teig nicht lange genug fermentieren, isst man etwas schwer verdauliches, für manche Menschen allergenes.” Er wird aber noch klarer:

Genau da schließt sich der Kreis, bei den Bauern und Martin Häusling, EU-Abgeordneter
und Bio-Bauer. Die liefern mit dem Getreide ja die Basis für das Brot, sind aber auch beherrscht von Massenproduktion und Preiskampf, so Häusling. Wie all das zusammenhängt? Die Böden des Waldviertels mit dem Weltmarkt für Getreide, die Mikroben auf der Haut mit patentierten Enzymcocktails, traditionelle Methoden mit gewagten Zukunftstechnologien, die Konsumgewohnheiten der Österreicher mit der großen Agrarpolitik, die französische Genusskultur mit preußischem Pragmatismus? Und ob industriell hergestelltes Brot wirklich gesundheitsschädigend sein kann? Das sehen Sie sich am besten selbst an!